Emotional vs. kreative Spannung

Jeder von uns kennt das:

Wir schmieden Pläne und setzen uns Ziele, ob beruflich und privat, und plötzlich fangen wir an, an der Möglichkeit, unseren Fähigkeiten und Potenzialen zu zweifeln.

Warum ist das eigentlich so?

Das hat vor allem damit zu tun, dass diese Überzeugungen in unserem Unterbewusstsein abgespeichert sind und weil sie uns so vertraut geworden sind, nehmen wir ihre Existenz einfach hinnehmen statt sie zu hinterfragen. Wie das Ganze genau abläuft, liefert eine sehr schlüssige und plakative Erklärung von Robert Fritz zusammen mit Peter Senge in dessen Buch „Die 5. Disziplin“. Ein kleiner Selbstversuch macht sehr schnell deutlich, welcher Mechanismus in solchen Momenten in jedem von uns greift.

Bitte einmal folgenden Satz laut aussprechen:

„Ich kann mein Leben exakt so gestalten, wie ich es will, in jeder Hinsicht - Beruf, Familie, Beziehungen, Gemeinschaft und die größere Welt.”

Und jetzt genau darauf, achten wie die innerliche Reaktion auf diese Behauptung ausfällt.

Was sagt die Stimme im Hinterkopf? Ist sie derselben Meinung? Oder bäumt sie sich empört auf und sagt etwas wie: „Soll das ein Witz sein? Das ist doch nicht ernst gemeint. Ich muss doch ... " oder „wenn ich genug Geld hätte vielleicht“ usw.

Egal wie die Reaktion ausfällt, sie liefert häufig einen Hinweis auf tief verwurzelte Überzeugungen, innere Bilder, Annahmen und Glaubenssätze, die jeder von uns hat, und die uns am Ende davon abhalten, unsere Wünsche und Ziele zu verwirklichen.

Robert Fritz verwendet dafür die Metapher von zwei Gummibändern, die uns in verschiedene Richtungen ziehen können. Diese Bild verdeutlicht, wie einander widersprechende, tiefere Überzeugungen und Glaubenssätze ein System bilden, das dem Erreichen unserer Ziele entgegenwirkt.

Man muss sich das so vorstellen:

Wir beginnen damit unser Ziel/unsere Vision anzugehen und ein Gummiband zieht uns in die gewünschte Richtung. Eine positive Energie existiert immer dann, wenn es eine Differenz gibt zwischen dem, was wir wirklich schaffen wollen, der Vision/dem Ziel, und dem, was ist, der momentanen Realität, ohne dass wir uns selbst stören. Diese Möhre vor der Nase bezeichnet Fritz als kreative Spannung.

Aber diese kreative Spannung hat immer noch einen Gegenspieler, quasi ein zweites Gummiband, das uns an unsere inneren Überzeugungen, Glaubenssätze und letztendlich mentalen Modelle bindet. Diese sogenannte emotionale Spannung versucht, so wie das erste Gummiband, uns zu der unbewusst verankerten Überzeugung zurückzuziehen, dass wir nicht haben können, was wir uns wünschen (oder es auch nicht verdienen bzw. können o.ä.). Es sind die Zweifel an den eigenen Fähigkeiten, die Vision/das Ziel überhaupt erreichen zu können. Fritz nennt es das Gefühl der eigenen Macht- und Wertlosigkeit.

Diese negativen Kräfte können sich in vielfältiger Form manifestieren. Wir verlieren vielleicht unsere Energie. Wir zweifeln daran, ob die Vision wirklich so gut war. Es wird immer schwieriger, die Sache zu Ende zu bringen. Unerwartete Hindernisse stellen sich uns in den Weg oder Menschen lassen uns im Stich. Sprich für uns passieren viele Dinge im Außen, weil wir das System des strukturellen Konflikts im Innen nicht wahrnehmen, das durch tiefe und größtenteils unbewusste Überzeugungen und Glaubenssätze verursacht wird - tatsächlich ist es so, dass unsere Ahnungslosigkeit den Konflikt unlösbar erscheinen lässt.

Dieses gesamte System, das sowohl die Spannung umfasst, die uns auf das Ziel hin zieht, als auch die Spannung, die uns an die tiefere Überzeugung bindet, bezeichnet Fritz als einen strukturellen Konflikt, weil es eine Struktur von widerstreitenden Kräften ist: sie zieht uns gleichzeitig zu unserem Ziel hin und gleichzeitig von ihm fort. Dieser Konflikt findet meistens im Unbewussten statt und sorgt dafür, dass solange man sich in dem strukturellen Konflikt befindet, systemische Kräfte am Werk sind, die bei jeder Vision einen Erfolg sabotieren können. In letzter Konsequenz würde es bedeuten, dass es keine erfolgreichen Menschen gäbe bzw. kein Mensch seine Ziele erreicht - was natürlich Quatsch ist.


Was sind denn die gängigen Methoden, wie wir versuchen, diese unbewussten Kräfte des inneren Konflikts zu überwinden?


Fritz spricht von drei generischen Bewältigungsstrategien, die häufig angewandt werden:

  1. Bleib realistisch!
    Sicherlich einer der Kassenschlager unter den Bewältigungsstrategien. Wir beginnen damit, uns selbst einzureden, dass das angestrebte Ziel oder die Vision eben doch zu weit von der Realität entfernt ist und wir sie auf ein „vernünftiges Maß“ runterholen müssen.

    Der Preis dieser Strategie:
    Ein sicherer Visionskiller oder der Garant für faule Kompromisse.

  2. Schlimmer geht immer!
    Ein häufig probates Mittel in sogenannten anspornenden Motivationsreden, d.h. immer wieder darauf hinzuweisen, was für äußerst unangenehme Konsequenzen es haben wird, wenn man die Unternehmensziele nicht erreicht - sprich es erfolgt eine Mobilisierung über Angst.

    Der Preis dieser Strategie:
    Viele Menschen sind überzeugt, dass ein Zustand dauernder Angst und Anspannung "normal" ist, wenn man erfolgreich sein will und vorankommen möchte - gerne auch als Stress bezeichnet; d.h. die emotionale Spannung wird sogar noch glorifiziert.

  3. Da geht noch was!
    Als dritte generische Strategie nennt Fritz die Willenskraft, mit der wir uns einfach selbst aufputschen, um alle Widerstände zu überwinden - sprich immer höher, schneller und weiter, ohne Rücksicht auf Verluste. Willenskraft ist unter erfolgreichen Menschen derart verbreitet, dass ihre Merkmale für viele gleichbedeutend mit Erfolg sind: das besessene Verfolgen von Zielen, die Bereitschaft "den Preis zu zahlen", die Fähigkeit, jeden Widerstand zu überwinden und jede Schwierigkeit zu meistern. Man kann so vielleicht seine Ziele erreichen, aber nur mit ungeheurem Kraft- und Energieaufwand. Und über kurz oder lang ist Willenskraft immer endlich.

    Der Preis dieser Strategie:
    Am Ende ist man zwar erfolgreich, aber man sollte sich ab und zu mal die Frage stellen, ob es das alles wert war, wenn das Kosten-Nutzenverhältnis in persönlicher, gesundheitlicher oder sozialer Hinsicht eher unverhältnismäßig ausfällt?


Jede dieser Bewältigungsstrategien ist bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich. Es sind tief verwurzelte Gewohnheiten, eingebrannt in unser kollektives Gedächtnis, die man nicht einfach so über Nacht ändern kann. Jeder von uns hat eine Lieblingsstrategie.

Die gute Nachricht ist:

Wir sind weder Opfer unserer Überzeugungen oder Glaubenssätze noch sind wir dieser inneren Spannung hilflos ausgeliefert.

Wir können einen Veränderungsprozess für uns selbst anstoßen, in dem wir uns dieses inneren Ringens bewusst werden und verstehen, welche zwei Kräfte an uns ziehen. Wenn wir unseren persönlichen inneren Konflikt bewältigen wollen, können wir mit einer überraschend einfachen und überaus wirkungsvollen Frage beginnen:

Wir müssen nur ehrlich zu uns selber sein und uns fragen, welche Kraft zieht gerade an mir?

Mit diesem Prozess des Wahrnehmens und des Benennens greifen wir in diese unterbewußt ablaufenden Strukturen bereits ein und setzen bei uns eine Veränderung in Gang. Wir entdecken neue Möglichkeiten, wo wir vorher nur Hindernisse und Herausforderungen sahen. Denn auch wie vor gilt:

„Du musst nicht jeden Gedanken glauben, der in deinem Kopf aufploppt!" - B. Dave Walters

Quelle: Die 5. Disziplin, Peter Senge

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